Kapitel 8 | Abschnitt 1

Lange Zeit lag der Fokus der Berliner Verkehrspolitik auf dem PKW als dem Fortbewegungsmittel der Wahl. Mittlerweile besitzen nur noch etwa die Hälfte der Berliner*innen ein Auto und nutzen dieses gerade einmal für ein Viertel ihrer Wege.[1] Dennoch haben Jahrzehnte der PKW-zentrierten Politik dazu geführt, dass weit über die Hälfte des Straßenraumes für den fahrenden und parkenden motorisierten Individualverkehr reserviert ist.[2]

Das hohe Berliner Verkehrsaufkommen verleitet Autofahrende dazu, nach Schleichwegen zu suchen. Das treibt das Verkehrsaufkommen in den Wohnvierteln in die Höhe und beansprucht Platz, der eigentlich als Lebensraum dienen sollte. Zudem belasten schlechte Luft und hohe Lärmbelastung die psychische sowie physische Gesundheit der Anwohnenden.[3]

Wir sind der Auffassung, dass der knappe und wertvolle öffentliche Raum in Berlin auf bessere Art verwendet werden sollte. Wir möchten Platz schaffen für mehr Lebensqualität: Grünanlagen, Spielplätze, Freizeitaktivitäten und Außenbereiche von Cafés und Restaurants.

Erhöhung der Lebensqualität durch Förderung von Kiezblocks

Wir möchten die Lebensqualität in Wohnvierteln deutlich erhöhen. Dafür muss der Durchgangsverkehr reduziert werden, ohne jedoch die Mobilität von Anliegenden einzuschränken. Bisherige Ansätze, wie die Durchfahrtsverbote „Anlieger frei” verfehlen häufig ihre Wirkung, da sie schlicht nicht eingehalten werden. Stattdessen setzen wir beispielsweise auf gegenläufige Einbahnstraßen und Modalfilter wie Diagonalsperren.

Um Kiezblockprojekte sowohl im Innenstadtbereich als auch in den Außenbezirken als ganzheitliches Konzept mit Einbindung der umliegenden Verkehrsinfrastruktur gezielt zu fördern, planen wir folgende Maßnahmen:

  • die Einrichtung einer Beratungsstelle auf Senatsebene, die mit der Erarbeitung eines Leitfadens für die Einrichtung von Kiezblocks beauftragt wird. Sie kann auch Vorschläge für geeignete Kieze und Strategien zur Anpassung der umliegenden Verkehrsinfrastruktur (ÖPNV & Fahrrad) erarbeiten und die Bezirke bei der konkreten Planung und Umsetzung unterstützen.
  • Informationskampagnen zur Steigerung der Bekanntheit von Kiezblocks sowie Beratungsangebote, die Bürger*innen bei der Projektplanung und -beantragung unterstützen. Damit sollen Kiezblockprojekte noch einfacher von Anwohnenden selbst initiiert werden können. 
  • den Ausbau digitaler Möglichkeiten zur Projektinitiierung und -planung (z. B. mittels Plattform mein.berlin.de, siehe auch Berlin gestalten auf mein.berlin.de).

Superilles von Barcelona (Spanien)

Durch einfache Maßnahmen wie Einbahnstraßen oder Diagonalsperren an Kreuzungen hat die Stadt Barcelona verhindert, dass Wohnviertel von Autofahrenden als Abkürzung genutzt werden. Anwohnende, Einsatzfahrzeuge, Müllabfuhr und Lieferverkehr können Ziele innerhalb des Wohngebiets weiterhin erreichen. Dadurch wurden unter anderem folgende Verbesserungen erreicht:[4]

  • deutliche Reduktion des Verkehrsaufkommesn innerhalb der Wohnviertel 
  • mehr Platz für Fußverkehr, Grünflächen und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung 
  • verbesserte Luftqualität und reduzierte Lärmbelastung
  • höhere Sicherheit, vor allem für Kinder, Senior*innen und Menschen mit Be_hinderung
  • Einzelhandel und Gastronomie profitieren
  • verstärkte Nutzung des ÖPNV & höhere Attraktivität des Radverkehrs
Best Practice

Autofreie Zonen und hybride Straßen schaffen

Neben Wohnvierteln würden auch andere Bereiche Berlins von weniger befahrenen oder autofreien Zonen deutlich profitieren. Wie zahlreiche Studien belegen, schafft eine Verkehrsberuhigung nicht nur eine höhere Aufenthaltsqualität für alle, sondern kann sich auch positiv auf Gewerbe und Einzelhandel auswirken.[5]

Grundlegend unterstützen wir daher eine weitreichende Verkehrsberuhigung des Stadtgebiets zugunsten des Fuß- und Radverkehrs. Anstelle einer pauschalen Verordnung autofreier Bereiche für die Bezirke müssen Maßnahmen individuell auf die Anforderungen der einzelnen Gebiete abgestimmt werden. Die Initiierung, Planung und Umsetzung verkehrsberuhigter Bereiche sollen in enger Abstimmung mit Einbeziehung aller Betroffenen erfolgen. 

Konkret planen wir für Berlin

  • die Umgestaltung von geeigneten Plätzen und Straßen im Sinne einer hybriden Nutzung. Hierbei können z. B. uhrzeitabhängige Durchfahrverbote für PKW zum Einsatz kommen. So kann tagsüber der Verkehr fließen, während in den Abendstunden die Gastronomie ihre Außenbereiche auf die Straße erweitern kann.
  • die Einrichtung von „Begegnungszonen” als weiteren hybriden Ansatz, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h und Vortritt für zu Fuß Gehende. Auch Spiel- und Fahrradstraßen sollen verstärkt zum Einsatz kommen.
  • darüber hinaus den Ausbau digitaler Möglichkeiten, mit denen Anwohnende und Gewerbetreibende Vorschläge für Umgestaltungsprojekte einreichen können (siehe auch Berlin gestalten auf mein.berlin.de).
  • eine unabhängige, wissenschaftliche Begleitung der einzelnen Projekte. Jedes Projekt soll ergebnisoffen und anhand klarer Kriterien evaluiert und die Maßnahmen entsprechend angepasst werden. Sollte sich z. B. die komplette Sperrung für den PKW für ein Gebiet nicht als sinnvoll erweisen, können hybride Alternativen ausprobiert werden. 

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz https://www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsdaten/zahlen-und-fakten/mobilitaet-in-staedten-srv-2018/ [23.10.2020].
2 Vgl. Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report (2014) https://www.clevere-staedte.de/files/tao/img/blog-news/dokumente/2014-08-05_FlaechenGerechtigkeits-Report.pdf.
3 Stressreaktionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: in: Umweltbundesamt, 2015, [online] https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/laermwirkung/stressreaktionen-herz-kreislauf-erkrankungen#hoheres-herzinfarkt-risiko [22.10.2020].
4 Vgl. López, Iván / Jordi Ortega / Mercedes Pardo: Mobility Infrastructures in Cities and Climate Change: An Analysis Through the Superblocks in Barcelona, in: Atmosphere, Jg. 11, Nr. 4, 2020, [online] https://www.mdpi.com/2073-4433/11/4/410/htm [22.10.2020].
5 Vgl. Wenn die Ladenkasse des Einzelhandels wegen der Rad-, Bus- und Bahnfahrer dreimal klingelt: in: clevere-staedte.de, [online] https://www.clevere-staedte.de/projekt/f%C3%BCr-den-verband-deutscher-verkehrsunternehmen-umweltverbund-bringt-einzelhandelsumsatz [27.10.2020].